Die Partner des Forschungsverbundes Windenergie haben zahlreiche Projekte kooperativ bearbeitet und ihre Kompetenzen zur Bewältigung komplexer Fragestellungen gebündelt. So lässt sich eine große thematische Breite kompetent abdecken. Ein Beispiel für die gute Ergänzung liefert das aktuelle Gemeinschaftsprojekt „Smart Blades“, das im Folgenden vorgestellt wird.
Der Ausbau der Windenergie in Deutschland birgt vielfältige technische Herausforderungen. Schwerpunkte liegen dabei u. a. in der Entwicklung effizienter Technologien sowohl für windstarke Offshore-Gebiete als auch für windschwächere Regionen im Binnenland. In beiden Fällen geht der Trend zu immer größer werdenden Rotorblättern zur effizienten Nutzung der Windpotenziale und Reduzierung hoher Wartungskosten.
Prototypen, die sich bereits im Feld beweisen, zeigen einen gewaltigen Größensprung im Vergleich zu den derzeitigen Serienanlagen – etwa 20 Meter sind dazugekommen. Im Onshore-Bereich stellen Rotordurchmesser von 120 Metern inzwischen eine übliche Größenordnung dar. Diese Abmessungen werden erst durch Vergleiche mit anderen technischen Produkten greifbar. Mit Rotordurchmessern, die die 80 Meter Spannweite grosser Passagierfl ugzeuge weit übertreffen, wird bei jeder Umdrehung eine Fläche überstrichen, die mehreren Fußballfeldern entspricht.

Smart Blades Referenzturbine
IWT-7.5-164

Bericht und Daten

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Lastenausgleich erhöht Effizienz und Langlebigkeit

Die inzwischen bis zu 85 Meter langen Blätter sind aufgrund der inhomogenen Windverteilung über der Rotorfläche einer sehr stark schwankenden Belastung ausgesetzt, die eine Herausforderung für die Struktur und Regelung der Windenergieanlage darstellt. Zur Bewältigung dieser neu entstandenen Probleme können innovative Konzepte wie „Smart Blades“ einen bedeutenden Beitrag leisten. Die intelligenten Rotorblätter zeichnen sich dadurch aus, dass sie mittels verschiedener aktiver und/oder passiver Mechanismen ihre aerodynamischen Lasten und damit auch die strukturellen Belastungen reduzieren können. Dies führt dazu, dass die Blätter bei gleicher Blattlänge leichter oder bei gleichem Blattgewicht länger werden. Das verändert auch die Belastungssituationen an weiteren Anlagenkomponenten – durch verringerte Lasten reduziert sich die Schadensanfälligkeit der Gesamtanlage, was zu einer höheren Anlagenverfügbarkeit und durch Gewichtsreduzierung zu Kosteneinsparungen führen kann. Wie groß diese Potenziale sind, soll u. a. in dem Forschungsprojekt Smart Blades quantifi ziert werden. Smart Blades ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit rund 12 Millionen Euro gefördertes dreijähriges Forschungsprojekt. Seit Ende 2012 arbeiten innerhalb dieses ersten Großprojektes des Forschungsverbundes Windenergie (FVWE) an sechs verschiedenen Standorten mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam an der Entwicklung und Konstruktion von intelligenten Rotorblättern. Es werden drei verschiedene Technologieansätze und zusätzlich technologieübergreifende Querschnittsthemen untersucht. Neben der Neuentwicklung leistungsstarker Modelle – u. a. für Aerodynamik, Leichtbaustrukturen und kosteneffiziente Produktionsverfahren – werden auch Konzepte aus der Luftfahrt für die Anwendung in der Windenergie adaptiert.

Intelligente passive Technologien

Auf der Basis passiver Technologien werden zwei Rotorblattvarianten untersucht: Eine mit einer strukturellen, eine weitere mit einer geometrischen Biege-Torsions-Kopplung (BTK). Neue Methoden und Tools werden für beide Varianten im Rahmen dieses Projektes mittels Komponentenprüfungen validiert. Zudem werden für diese BTK-Blätter geeignete Regelungssysteme entwickelt. Das Ziel ist es hierbei, alle zur numerischen Auslegung von BTKRotorblättern erforderlichen Rechenwerkzeuge zur Verfügung zu stellen und die Potenziale der beiden Varianten vergleichbar zu machen. Um die ausgelegten Rotorblätter und die dazu entwickelten Tools und Methoden im drehenden System zu validieren, sollen mittelfristig 20 Meter lange Demonstrationsblätter gefertigt und an einer realen Anlage getestet werden. Dazu gehen Erkenntnissen zu den 80 Meter langen Blättern in die Fertigungsunterlagen für die Demonstrationsblätter (20 m) mit ein, so dass eine entsprechende Bauform hergestellt werden kann.

Rotorblätter mit aktiven Mechanismen zur Lastreduktion

Das bisher zur Reduktion struktureller Belastungen eingesetzte Verfahren des „kollektiven Pitchens“ hat den Nachteil, dass die Rotorblätter nicht auf ihrer gesamten Länge auf die lokal heterogene Windverteilung eingestellt werden können. Dies gilt auch für Anlagen mit moderner Individual-Pitch-Ausstattung.
Durch die zunehmende Trägheit werden zudem die Belastungen immer größer und die erreichbaren Pitch-Geschwindigkeiten immer geringer. Eine flexible und schnell wirksame Alternative dazu stellt das Konzept der beweglichen Hinterkante bzw. der starren Hinterklappenkante aus der Luftfahrt dar. Durch die Positionierung von Klappen (auch Moveables genannt) an geeigneter Stelle des Rotorblattes werden die Lasten an jedem Blatt einzeln und lokal reguliert.
Neben der methodischen Entwicklung von Rotorblättern mit Moveables wird auch ein Demonstrator für statische und dynamische Laborversuche gebaut. Dabei handelt es sich um den aktiven Part eines Blattausschnitts, der im Weiteren auch mit einem vertikal rotierenden Prüfstand kompatibel sein soll. Perspektivisch ist auch für diesen Ansatz der Bau eines 20-Meter-Demonstrators geplant, in den Erkenntnisse aus Bau und Test des Blattsegments eingehen.

Untersuchung eines integrierten Vorflügels im Windkanal

Im Projekt „Smart Blades“ wird außerdem das Konzept eines integrierten Vorflügels verfolgt und in Windkanalversuchen experimentell getestet. Dabei soll die Reaktionsdynamik bezüglich der wirkenden Kräfte auf das Windkanalmodell erfasst und die Grenzbereiche der Beeinflussbarkeit dieser Kräfte identifi ziert werden. Hierzu werden Turbulenzen charakterisiert, denen das Modell im Windkanal ausgesetzt wird, um Änderungen der aerodynamischen Werte zu messen. Im Anschluss an dieses Projekt soll eine intelligente Regelung des Vorflügels entwickelt und im Windkanal untersucht werden.

Referenzanlage und Bewertung

Zusätzlich zu diesen Technologieentwicklungen sind weitere Aktivitäten geplant: Unter anderem wird eine State-of-the-Art-Referenzanlage mit 80 Meter langen Rotorblättern rechnerisch ausgelegt, um die verschiedenen Technologien und Varianten zu vergleichen. Am Ende der Projektlaufzeit erfolgt eine detaillierte Bewertung der unterschiedlichen Ansätze zur Identifikation von Potenzialen und Schwachstellen. Entwicklern von Windenergieanlagen und Anlagenkomponenten sowie Betreibern bietet das Projekt „Smart Blades“ einen handfesten Nutzen: Es werden Know-how, Werkzeuge und Ressourcen bereitgestellt, um effektivere, kosteneffi zientere und zuverlässigere Anlagendesigns auf den Markt zu bringen.

Förderkennzeichen: 0325601